Kreislaufwirtschaft: Nur wenige Unternehmen sind auf den digitalen Produktpass vorbereitet
Der digitale Produktpass (DPP) soll den Weg zur zirkulären Wirtschaft ebnen und so für eine klimafreundliche Wertschöpfung sorgen. Allerdings kennen viele Unternehmen das Konzept des digitalen Produktpasses noch gar nicht.
Außerdem teilt nur eine Minderheit bislang ihre Produktdaten digital mit anderen Unternehmen und dies oftmals nicht in standardisierter Form. Hier gilt es eine praktikable Lösung für alle Unternehmen zu finden, damit der DPP Realität werden kann.
Warum ein digitaler Produktpass?
Auf dem Weg zu einer treibhausgasarmen Wirtschaft kann das Denken in Kreisläufen einen zentralen Beitrag leisten. So ist der Übergang zu einer zirkulären Wirtschaft zentraler Baustein des europäischen Green Deal. Es gilt, Ressourcen weniger zu verbrauchen, mehrfach zu gebrauchen oder ganz durch klimafreundlichere Alternativen zu ersetzen. Der hierfür nötige Blick auf den gesamten Produktlebenszyklus macht es erforderlich, dass die verschiedenen Akteure entlang der Wertschöpfungskette effizient – und damit automatisch – über Schnittstellen kommunizieren.
Digitale Daten sind nötig, um den Erfolg von kreislauforientierten Stoffströmen und Geschäftsmodellen zu messen und zu bewerten. Eine Lösung ist der geplante digitale Produktpass (DPP), um Produktdaten zu Material, Eigenschaften, Reparatur- und Entsorgungsoptionen für alle Akteure im Produktlebenszyklus transparent und effizient zur Verfügung zu stellen.
Verschiedene produktbezogene Regulierungen wie die EU-Batterieverordnung oder die EU-Ökodesignverordnung geben DPPs vor. Dies macht es erforderlich, dass Unternehmen künftig relevante Produktinformationen teilen, digital verarbeiten und in DPPs ergänzen.
Was brauchen Unternehmen, um digitale Produktpässe umsetzen zu können?
Der DPP muss alle aus regulatorischer Sicht notwendigen Produktinformationen erfassen und strukturieren, auch die von Vorprodukten. Die Menge an zu verarbeitenden Informationen in einem DPP steigt, je mehr Komponenten ein Produkt enthält. Die Übertragung der Informationen zwischen Unternehmen und/oder verschiedenen Systemen innerhalb der Unternehmen funktioniert nur, wenn die einzelnen DPPs kompatibel beziehungsweise interoperabel sind.
Interoperabilität bezeichnet die Fähigkeit des Zusammenspiels verschiedener Systeme, Techniken oder Organisationen. Notwendig ist hierfür eine strukturierte und vor allem standardisierte Informationserfassung und -weitergabe, damit alle beteiligten Akteure die nötigen Informationen zum Produkt einsehen und ergänzen können.
Ein DPP ist initiativ von dem Unternehmen zu befüllen, das ein Produkt herstellt. Zu späteren Zeitpunkten können aber auch andere Akteure wie Dienstleister entsprechend ihrer Berechtigungen Produktinformationen ergänzen, beispielsweise wenn es zu Reparaturleistungen kommt.
Unternehmen benötigen daher die technischen Voraussetzungen, um DPPs selbst ausstellen, nutzen und ändern zu können. Das bedeutet zum Beispiel, dass produktspezifische Informationen in digitaler Form vorliegen sollten. Es setzt – insbesondere für Unternehmen auf nachgelagerten Stufen der Wertschöpfungskette – zwei wesentliche Komponenten voraus:
- Einerseits sollten Daten zu den verwendeten Vorprodukten vorliegen. Diese Erfordernis ist von Unternehmen selbst nur bedingt beeinflussbar, da sie abhängig von der Art und Weise ist, wie Zulieferer Produktdaten digital bereitstellen.
- Andererseits sollten Unternehmen selbst in der Lage sein, empfangene Produktdaten strukturiert verarbeiten zu können.
Zudem sollten sie selbst digitale Daten für ihre eigenen Produkte erheben. Nur so können empfangene mit eigenen Produktions- oder Produktdaten wirksam kombiniert werden, sodass Unternehmen selbst DPPs ausstellen können. Unternehmensbefragungen aus den Jahren 2021 bis 2023 zeigen allerdings, dass bislang nur jedes dritte Unternehmen in Deutschland in der Lage ist, Daten effizient zu bewirtschaften. Das schließt ein, dass Daten umfangreich digital gespeichert, strukturiert verarbeitet und vielseitig genutzt werden.
Im Umkehrschluss bedeutet dieses Ergebnis, dass zwei Drittel der Unternehmen Schwierigkeiten haben könnten, produktrelevante Daten effizient zu verarbeiten und selbst digital bereitzustellen. Beispielsweise könnten Unternehmen Produktdaten in einem Format empfangen, das sie selbst nicht unterstützen, sodass die Daten nur schwer weiterverarbeitet werden können. Positiv ist jedoch, dass bereits etwa zwei Drittel der deutschen Unternehmen Produktdaten digital speichern.
Mehrheit der Unternehmen kennt digitale Produktpässe noch nicht
Insgesamt ist das Thema DPP weitestgehend noch nicht bei den deutschen Unternehmen angekommen, obwohl sie bald verpflichtend eingeführt werden müssen: Zwei Drittel der Unternehmen in Deutschland kennen DPPs nicht oder erachten sie als nicht relevant (Abbildung 1).
Dieses Ergebnis stammt aus einer repräsentativen Unternehmensbefragung im Rahmen des IW-Zukunftspanels, die im Herbst 2024 unter 1.078 deutschen Unternehmen der Industrie und unternehmensnahe Dienste durchgeführt wurde. Lediglich vier Prozent haben bereits Maßnahmen ergriffen, um sich auf die Einführung des DPP vorzubereiten, weitere 11 Prozent planen, sich mit dem DPP zu beschäftigen. 17 Prozent der Unternehmen kennen die Idee des DPP, beschäftigen sich allerdings gezielt nicht damit und planen dies auch künftig nicht.
Abbildung 1: Hat Ihr Unternehmen bereits Maßnahmen ergriffen, um sich auf die Einführung digitaler Produktpässe (DPPs) vorzubereiten?

Angaben in Prozent der Unternehmen. Grundstoffindustrie: Papier, Chemie/Pharma, Glas/Keramik/Steine und Erden, Metallerzeugung , Versorgung: Energie- und Wasserversorgung. Quelle: IW-Zukunftspanel, Welle 49, N= 1.078
In der Grundstoffindustrie beschäftigen sich mehr Unternehmen mit dem DPP oder planen dies (19 Prozent). Dies ist wichtig, denn sie nehmen im Hinblick auf den Erfolg von DPPs eine zentrale Rolle ein: Die Grundstoffindustrie bedient in der Regel die ersten Stufen der Lieferketten. Wenn wesentliche Produktdaten bereits zu Beginn digital abgebildet werden, ist es für Kunden auf späteren Stufen der Wertschöpfungskette einfacher möglich, Produktdaten digital zu erkennen und weiterzuverarbeiten.
Auffallend ist, dass nur zwei Drittel der unternehmensnahen Dienstleister DPPs als relevant für ihr Geschäftsmodell erachten. Ausschlaggebend könnte eine (noch) fehlende Erkenntnis sein, dass DPPs den ganzen Produktlebenszyklus und somit potenziell auch ihre Serviceleistungen während und nach der Nutzungsphase eines Produkts betreffen werden.
Nur eine Minderheit der Unternehmen teilt bereits standardisierte digitale Daten
Für den Erfolg von DPPs sind standardisierte digitale Produktinformationen wichtig, aber die Realität sieht anders aus: Nur etwa die Hälfte der befragten Unternehmen in der Industrie und unternehmensnahen Diensten stellen ihren Kunden, Lieferanten oder anderen Partnern digitale Produktdaten bereit, lediglich 18 Prozent davon in standardisierter Form (Abbildung 2).
Im Verarbeitenden Gewerbe sind es immerhin drei von fünf Unternehmen, die digitale Produktdaten für andere bereitstellen, 24 Prozent davon in standardisierter Form. Große Unternehmen sind deutlich fortschrittlicher: Während drei Viertel der Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten digitale Produktdaten bereitstellen (39 Prozent standardisiert), sind es zwei Drittel der Unternehmen mit 50 bis 249 Beschäftigten (27 Prozent standardisiert) und nur knapp jedes zweite Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten (17 Prozent standardisiert).
Abbildung 2: Stellt Ihr Unternehmen Kunden, Lieferanten oder anderen Partnern Produktinformationen bereits in digitaler und standardisierter Form zur Verfügung?

Angaben in Prozent der Unternehmen. Grundstoffindustrie: Papier, Chemie/Pharma, Glas/Keramik/Steine und Erden, Metallerzeugung , Versorgung: Energie- und Wasserversorgung. Quelle: IW-Zukunftspanel, Welle 49, N= 1.078
Bereits datenteilende Unternehmen eher vorbereitet auf den DPP
Unternehmen, die bereits digitale Daten bereitstellen, bereiten sich eher auf den DPP vor: Jedes vierte derartige Unternehmen beschäftigt sich mit dem DPP oder plant dies künftig (ohne digitale Produktdatenabgabe: 7 Prozent). Dagegen ist der Anteil derjenigen, die den DPP nicht kennen, unter diesen Unternehmen ähnlich hoch wie bei anderen Unternehmen.
Insgesamt erachten nur 21 Prozent der Unternehmen, die digitale Produktdaten abgeben, DPPs als nicht relevant, während es bei Unternehmen ohne digitale Produktdatenabgabe 33 Prozent sind. Unternehmen, die die Vorteile des DPP begriffen haben, haben offenbar bereits eigeninitiativ Maßnahmen eingeleitet, um ihre Produktdaten digital mit anderen Unternehmen zu teilen. Erste Erfahrungen mit Vorteilen des Data Sharing könnten Unternehmen auch dazu verleiten, aufgeschlossener gegenüber anderen Data-Sharing-Konzepten wie dem DPP zu sein.
Digitale Produktpässe: quo vadis?
Aufgrund fehlender regulatorischer Vorgaben in Bezug auf die konkrete Umsetzung sind DPPs in vielen Fällen noch kein Thema in Unternehmen. Auch zeigen sich große Informationslücken bei den Unternehmen in Bezug auf die damit verbundenen Vor- und Nachteile.
Einerseits kann das Aufsetzen von DPPs aus Unternehmensperspektive kostspielig und zeitintensiv sein, andererseits bieten die erhöhte Transparenz und Vernetzungsmöglichkeiten neue unternehmerische Chancen. Es gibt noch Aufholbedarf bei vielen Unternehmen, um die für den DPP notwendigen digitalen Voraussetzungen zu erfüllen.
Im Umkehrschluss bedeutet das auch, dass die Europäische Kommission eine sektorübergreifende Lösung für einen DPP finden sollte, die möglichst viele Unternehmen auch umsetzen können. Dafür könnten bestehende globale offene Datenstandards, mit denen Unternehmen vertraut sind, eine wichtige Basis sein.
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Kommentare
Die erfolgreiche Einführung des digitalen Produktdatenpass gelingt eher, wenn Beispiele verschiedener Branchen angeführt werden, die zu Win-Win-Situationen der beteiligten Unternehmen geführt haben. Strukturierte Beispiele nennen. Die allgemeine Definition, so sorgfältig sie auch formuliert wurde, ist notwendig, reicht aber nicht aus. ( Verfahrensingenieur (TUM)